Kapitel 13: Bildungsdisparitäten und Bildungspotenziale in der Grundschule

von Sabine Martschinke

Die Grundschule als Elementarschule für (fast) alle Kinder steht mit ihrer unselektierten Schülerschaft im besonderen Maße vor der Herausforderung, mit der Heterogenität der Schüler und Schülerinnen umzugehen. Dabei verweisen stark steigende Inklusionsquoten auf die Bedeutung der Differenzlinie der Behinderung. Diese und andere Differenzlinien (z.B. Migrationshintergrund, soziale Herkunft, Geschlecht) werden dabei nicht als Stereotype, sondern in komplexen Merkmalsmustern gedacht, die Persönlichkeitsmerkmale mit einschließen (z.B. Selbstkonzept, Interesse, Angst).

Obwohl Heterogenität in der Grundschule nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance verstanden wird, zeigen sich Probleme, die Unterschiede zwischen den Kindern produktiv zu nutzen. So gelten weiterhin Migrationshintergrund und die Bildungsferne bzw. –nähe der Elternhäuser als erklärungsmächtig für große Bildungsdisparitäten. Auch die weiter bestehende Exklusionsquote deutet an, dass im Umgang mit Bildungsdisparitäten noch nicht alle Chancen ausgenutzt werden. Verschärft wird das Problem zusätzlich an den Schnittstellen im Bildungssystem: In der Grundschule finden sich mit dem Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule und dem Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen zwei Übergänge, die potenziell Bildungsbenachteiligung verstärken. Um diese Übergänge günstiger zu gestalten, werden im Sinne des Transitionsansatzes nicht nur die Kinder als aktive Bewältiger des Schulbeginns unterstützt, sondern auch die Eltern als eine der Stellschrauben für das Gelingen solcher Transitionen in einer positiv gestalteten Bildungs- und Erziehungspartnerschaft angesehen.

Als Schlüssel für die Verbesserung des Unterrichts gilt das Qualitätskriterium der Adaptivität. Das bedeutet, dass jedes Kind nach seinen Voraussetzungen individuell gefördert wird. Diese Adaptivität kann zum einen auf der Makroebene des Unterrichts für alle Kinder der Klasse durch eine Passung zwischen Lernumgebung und Lernvoraussetzungen in offenen Formen, in kooperativen Settings, in Differenzierungsphasen durch Variation des Aufgabenmaterials erreicht werden. Zum anderen bezieht sich Adaptivität auf der Mikroebene auch auf Lernvoraussetzungen des einzelnen Kindes, auf die in Stillarbeit und freien Phasen, durch Zieldifferenzen, durch spezifische Unterstützungsphasen und Zusatzangebote individuell und spezifisch reagiert wird.

Die Veränderung struktureller Gegebenheiten in der Grundschule, beispielsweise durch eine Verstärkung des Ganztagesangebots und durch die Mischung von Jahrgängen, ist als Reaktion auf die weiter bestehenden Bildungsdisparitäten und Bildungsbenachteiligungen zu sehen.

Die Ganztagesangebote sollen gerade für benachteiligte Gruppen Förderangebote stellen, werden aber von diesen noch nicht im erwünschten Maße genutzt. Die Erkenntnis, dass strukturelle Veränderungen meist per se nicht die erwünschten Erfolge nach sich ziehen, sondern die Qualität der strukturellen Veränderungen entscheidend ist, verweist auf die Bedeutung der Lehreraus- und -fortbildung. Vor dem Hintergrund einer unselektierten und damit sehr heterogenen Schülerschaft gehören deswegen im besonderen Maße die Diagnose- und Förderkompetenz zu den Kerninhalten der Lehre bzw. von Fortbildungen. Darüber hinaus sollen aber auch aktive, positive Einstellungen gegenüber Heterogenität angebahnt werden, da sie einen günstigen Einfluss auf die Unterrichtsqualität und damit langfristig auf die Persönlichkeits- und Leistungsentwicklung der Kinder in der Grundschule haben.

Der vollständige Beitrag im Buch gliedert sich wie folgt:

13.1  Erwartungen an die Grundschule

  • 13.1.1 Der Bildungsauftrag der Grundschule
  • 13.1.2 Bildung nach PISA und IGLU
  • 13.1.3 Bildung zwischen Kindertagesstätte und weiterführender Schule
  • 13.1.4 Bildung für (fast) alle Kinder
  • 13.1.5 Grundschule als Teil der Bildungslandschaft

13.2  Heterogenität der Schülerinnen und Schüler als Herausforderung

  • 13.2.1 Heterogenität als „schwieriger“ Begriff
  • 13.2.2 Differenzlinien und ihre Bedeutung
  • 13.2.3 Behinderung als besondere Differenzlinie

13.3  Individuelle Förderung

  • 13.3.1 Grundschulpädagogischer Umgang mit Heterogenität
  • 13.3.2 Adaptivität als Qualitätskriterium für individuelle Förderung
  • 13.3.3 Die Lehrkraft als wichtiger Gelingensfaktor
  • 13.3.4 Verbreitung individueller und adaptiver Förderung

13.4  Übergänge zu und von der Grundschule als Herausforderung

  • 13.4.1 Der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule
  • 13.4.2 Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule

13.5  Strukturelle Entwicklungen in der Grundschule

  • 13.5.1 Jahrgangsmischung
  • 13.5.2 Ganztagsschule

13.6  Herausforderungen für die Zukunft

14 Bildungsgänge im Sekundarbereich I

Weiterführende Informationen im Web