III. Frühe Bildung – Kindertageseinrichtungen und Grundschule Einführung

von Marcus Hasselhorn und C. Katharina Spieß

Bildungsbiografien von Kindern beginnen nicht erst mit der Einschulung. Wesentliche, für die eigene Bildungskarriere und auch die Gesellschaft relevante Kompetenzen werden schon in den sechs Jahren vor Erreichen der gesetzlichen Schulpflicht erworben. In der Grundschulzeit, die in den meisten Bundesländern vierjährig ist, werden weitere grundlegende Fertigkeiten angeeignet, die die Grundlage für spätere Lernprozesse und damit das Niveau der einmal von der oder dem Einzelnen erreichbaren Bildungsniveaus und vieles mehr bilden: Lesen, Schreiben, Rechnen. Aber nicht nur für die Qualität der sich herausbildenden schulrelevanten Fertigkeiten im engeren Sinne sind die Bildungsetappen bis zum Ende der Grundschulzeit von entscheidender Bedeutung. Auch die für den mittel- bis langfristigen Bildungserfolg ebenso bedeutsamen motivationalen und volitionalen (d. h. auf Selbstdisziplin und Hartnäckigkeit der Zielverfolgung bezogene) Kompetenzen werden bereits in dieser Phase individueller Bildungsverläufe konturiert. Der damit verbundene Prozess der Persönlichkeitsentwicklung wird zusätzlich durch sozio-emotionale Voraussetzungen der Kinder beeinflusst und führt selbst wiederum zur Ausbildung sozio-emotionaler Kompetenzen. Gelingt es bereits in dieser Phase, die Entwicklung von Kindern gemäß ihren Fähigkeiten optimal zu begleiten, so werden auch nachfolgende Bildungsprozesse erfolgreicher. Aus diesem Grunde haben die Rahmenbedingungen, die Qualität und die Prozesse der Bildung im ersten Lebensjahrzehnt in jüngerer Zeit das Interesse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie der Öffentlichkeit auf sich gezogen.

Auch wenn dies dazu beigetragen hat, dass mancherorts Realisierungsmöglichkeiten verzahnter und eng aufeinander abgestimmter Bildungsarbeit im ersten Lebensjahrzehnt umzusetzen versucht werden (z. B. die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtungen und Grundschulen), ist die Bildungsrealität von sehr unterschiedlichen Grundüberzeugungen der Verantwortlichen geprägt. Dabei treffen sich Eltern, als ein zentraler Akteur der frühen Bildung, mit anderen zentralen Akteuren in der Kindertagesbetreuung und den Grundschulen. Bis heute sind die Konsequenzen aus den daraus resultierenden höchst unterschiedlichen Logiken der Bildungsprozesse in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen und letztlich auch Familien weitgehend ungeklärt.

Im vorliegenden dritten Buchteil des Bandes wird der aktuelle Erkenntnisstand über formale Bildungsangebote in der frühen Kindheit dargestellt – die Bildung in Kindertageseinrichtungen und in Grundschulen. Informelle Bildungsangebote der Familien oder auch non-formale Bildungsangebote, wie frühkindliche Förderangebote im Bereich des Sports oder der Musik, werden dabei nicht systematisch betrachtet (► Kap. 4 und 3) – gleichwohl sie für eine Gesamtbetrachtung aller frühen Bildungsprozesse ebenfalls von Relevanz sind und alle Angebote letztlich in ihrer gemeinsamen Wirkung betrachtet werden müssen.

In Kapitel 11 skizzieren Hans-Günther Roßbach und C. Katharina Spieß die Geschichte von Kindertageseinrichtungen als erste Stufe des deutschen Bildungssystems. Dabei wird bereits auf die Besonderheiten dieses Systems eingegangen, das sich auf der einen Seite durch seine Bildungsfunktion definiert, auf der anderen Seite durch seine Einheit von Erziehung, Bildung und Betreuung sehr viel breiter ausgerichtet ist. Basierend auf Forschungsarbeiten werden die potenziellen Wirkungen dieser Bildungsangebote resümiert. Außerdem werden die Rahmenbedingungen der heutigen Situation, die verschiedenen Verantwortungsebenen und Finanzierungsstrukturen von Kindertageseinrichtungen diskutiert. Es wird sowohl die Seite der Anbieter beschrieben als auch Nutzungsunterschiede zwischen sozioökonomischen Gruppen dargestellt. Ein besonderer Fokus wird auf die in den Kindertageseinrichtungen beschäftigten pädagogischen Fachkräfte gelegt. Der Beitrag stellt die deutsche Situation aber auch in einen europäischen Kontext und beleuchtet spezifische Aspekte des Übergangs von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule.

In den letzten Jahren ist vermehrt die Qualität von Bildungsprozessen als entscheidender Faktor für Bildungserträge auf sehr unterschiedlichen Ebenen zum Gegenstand von Forschungsbemühungen geworden. Mittlerweile gibt es eine Reihe belastbarer Befunde zur pädagogischen Qualität in der Kindertagesbetreuung. Das Kapitel 12 von Yvonne Anders und Hans-Günther Roßbach zeigt auf, welche Dimensionen der pädagogischen Qualität sich theoretisch und empirisch voneinander abgrenzen lassen und welche Auswirkungen sie auf die Entwicklung der Kinder in diesen Einrichtungen haben. Der Beitrag beschreibt zum einen unterschiedliche Konzepte pädagogischer Qualität und auch unterschiedliche Ansätze diese zu messen, um Qualität empirisch erfassen zu können. Die Frage der Steuerung von Qualität ist ein weiterer zentraler Bestandteil des Beitrags – dabei wird auf eine curriculare Steuerung (z. B. in Form von Bildungsplänen) ebenso eingegangen wie auf eine Steuerung über eine Qualifizierung des pädagogischen Personals. Die Befundlage zur Struktur, dem Niveau und der Wirkung der pädagogischen Qualität in Deutschland wird ebenfalls zusammenfassend dargestellt. Der Beitrag schließt mit aktuellen Herausforderungen der Qualitätssicherung und ‑entwicklung im deutschen System.

In Kapitel 13 geht Sabine Martschinke auf die Erwartungen an die Grundschule und die zentralen Herausforderungen ein, die die Grundschule heute zu bewältigen hat. Ausgehend von einer Skizze der Erwartungen wird die Heterogenität der Schülerschaft als Herausforderung thematisiert. Der Umgang mit dieser Heterogenität führt zu der Notwendigkeit, adaptive individuelle Förderung zum Qualitätskriterium von Unterricht und Merkmal von Professionalität von Grundschullehrkräften zu machen. Schließlich werden die Herausforderungen an die Grundschule in ihrer Funktion als Bildungskette von Kindertageseinrichtungen bis hin zu weiterführenden Schulen (dem Sekundarschulbereich) beschrieben. Es wird auf aktuelle strukturelle Veränderungen in der Grundschule und auf zukünftige Herausforderungen eingegangen.

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