von Kai Maaz und Hanna Dumont
Ein zentrales Ziel moderner Bildungssysteme ist es, jeder Person unabhängig von zugeschriebenen (von der Person nicht beeinflussbaren) Merkmalen wie der sozialen Herkunft, dem Migrationshintergrund und dem Geschlecht die gleichen Bildungschancen zu ermöglichen. Die Forschung hat jedoch gezeigt, dass der Zugang zu Bildung sowie der Bildungserfolg in Form von Bildungsabschlüssen und Kompetenzen nicht unabhängig von diesen Merkmalen sind. Soziale Bildungsungleichheiten erweisen sich dabei als außerordentlich beständig. Die großen internationalen Schulleistungsuntersuchungen der IEA und der OECD haben dies seit Ende der 1990er Jahre deutlich gezeigt und dem deutschen Bildungssystem ein beträchtliches Gerechtigkeitsdefizit attestiert. Auch im vorschulischen und nachschulischen Bereich gibt es ausgeprägte soziale Bildungsungleichheiten. Trotz positiver Veränderungen sind soziale Ungleichheiten in der Bildungsbeteiligung und im Kompetenzerwerb in allen Bildungsbereichen nach wie vor stark ausgeprägt, insbesondere weil von der anhaltenden Bildungsexpansion nicht nur benachteiligte Gruppen, sondern alle sozialen Herkunftsgruppen profitieren.
Große Bildungsungleichheiten bestehen ebenfalls nach Migrationshintergrund in allen Bildungsbereichen fort: Trotz positiver Entwicklungen ist die Distanz in der Bildungsbeteiligung und den Bildungsergebnissen zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund in allen Bildungsbereichen nahezu stabil geblieben. Ein Teil der Benachteiligung aufgrund des Migrationshintergrunds resultiert aus dem starken Zusammenhang von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund. In einigen Bildungsbereichen – wie beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I – können Ungleichheiten nach Migrationshintergrund vollständig durch die soziale Herkunft erklärt werden. Das bedeutet, dass die beobachtbaren Unterschiede keine Form institutionalisierter Diskriminierung sind, sondern hier Bildungsungleichheiten insbesondere aufgrund von Leistungsdifferenzen nach sozialer Herkunft verursacht werden.
Schließlich lassen sich in allen Bildungsbereichen Ungleichheiten nach dem Geschlecht beobachten. Das Bild für Bildungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen ist jedoch weniger einheitlich als bei den Ungleichheiten nach sozialer Herkunft und Migrationshintergrund. Dies bezieht sich sowohl auf die verschiedenen Indikatoren des Bildungserfolgs (Kompetenzen und Bildungsabschlüsse) als auch auf die verschiedenen Bildungsbereiche. Während in den frühen Bildungsbereichen Mädchen in Bezug auf die Beteiligung an institutionalisierter Bildung Jungen gegenüber im Vorteil sind, kehrt sich dies ab der postsekundaren Bildung um. Im Studium finden sich sowohl in der Beteiligung insgesamt als auch in der Wahl des Studienfachs Ungleichheiten zuungunsten der Frauen. Bei den Kompetenzen lässt sich ebenfalls kein einheitliches Bild zeichnen: Hier variieren die Vorteile von Mädchen versus Jungen in Abhängigkeit der Wissensdomäne. So haben Mädchen Vorteile in sprachlichen Domänen und Jungen in mathematisch-naturwissenschaftlichen Domänen.
Der vollständige Beitrag im Buch gliedert sich wie folgt:
8.1 Einführung
8.2 Bildungsungleichheiten nach sozialer Herkunft
- 8.2.1 Definition und Erfassung von sozialer Herkunft
- 8.2.2 Herkunftsbedingte Bildungsungleichheiten über den Lebensverlauf
8.3 Bildungsungleichheiten nach Migrationshintergrund
- 8.3.1 Definition und Erfassung des Migrationshintergrunds
- 8.3.2 Theoretische Bezüge und empirische Befunde
8.4 Bildungsungleichheiten nach Geschlecht
8.5 Zukünftige Herausforderungen und Ansatzpunkte für den Abbau von Ungleichheiten des Bildungserwerbs
Weiterführende Informationen im Web
- » Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
- » Dossier „Bildungssoziologie: Soziale Herkunft und Bildung“
- » Dossier „Bildung und Migration”
- » Bildungsbericht 2016 mit dem Schwerpunkt Bildung und Migration
- » Dossier „Bildungschancen“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)