V. Hochschulbildung Einführung

von Heike Solga

Das Hochschulsystem ist neben dem Berufsbildungssystem der zweite Pfeiler der beruflichen Vorbereitung nachwachsender Generationen für den Arbeitsmarkt sowie zur Persönlichkeitsentwicklung junger Erwachsener. Immer mehr Arbeitsplätze erfordern wissenschaftliche Qualifikationen, zudem steigt der Anteil an Studierenden eines Altersjahrgangs weiterhin an. Dies spiegelt sich in den aktuellen Entwicklungen im Hochschulsystem wider. In den letzten Jahrzehnten hatte der Hochschulbereich vielfältige Herausforderungen zu meistern. Dazu gehören (1) der weiterhin anhaltende starke Zustrom an die Hochschule – verursacht durch gestiegene Bildungsaspiration junger Menschen und ihrer Eltern, eine wachsende Zahl an Hochschulzugangsberechtigungen durch neue Möglichkeiten des Erwerbs eines (Fach-)Abiturs außerhalb des klassischen Gymnasiums oder doppelte Abiturjahrgänge durch die Umstellung von G9 auf G8 –, (2) die Veränderungen der Studienstruktur von Diplom und Magister hin zu Bachelor und Master durch den Bologna-Prozess, (3) die Exzellenzinitiative mit ihrem Fokus auf Graduiertenausbildung und Schwerpunktbildung in der Forschung (die dadurch auch die Besetzung von Professuren und damit die Ausrichtung und Gewichtung von Studienfächern betrifft) sowie (4) Veränderungen in der Steuerung – oder zu neudeutsch „Governance“ – von Hochschulen. Aus diesen Veränderungen resultierten vielfältige Handlungsbedarfe im Bereich der Hochschulbildung, die den Zugang zum Studium, das Studium selbst sowie die sozialen und individuellen Erträge eines Hochschulstudiums betroffen haben – und damit die Entdeckung, Entfaltung und Nutzung der individuellen Bildungspotenziale in Deutschland.

Die drei Kapitel dieses Buchteils widmen sich mit unterschiedlichen Perspektiven diesen Herausforderungen und Handlungsbedarfen. In Kapitel 17 stellt Uta Liebeskind die institutionellen Rahmenbedingungen des Hochschulbereichs sowie ausgewählte wichtige Entwicklungen vor. Das Kapitel behandelt insbesondere die Studienstrukturreform im Rahmen des europaweiten Bologna-Prozesses sowie die nun stärker vertikale und an quantitativen Indikatoren ausgerichtete Steuerung des Hochschulsystems. Zudem wird das Bildungsangebot beschrieben sowie dessen Neuausrichtung hinsichtlich einer stärkeren Kompetenzorientierung und „employability“ (Beschäftigungsfähigkeit nach dem Studium) thematisiert. Trotz Widerständen gegen diese Neuausrichtung zeigt sich, dass die Ideen von Arbeitsmarktpassung und Praxisbezug die Entwicklung hochschulischer Bildungsangebote stark beeinflusst haben.

In Kapitel 18 stellen Kathrin Leuze und Markus Lörz Veränderungen und Stabilitäten in den Bildungsverläufen im Hochschulbereich vor. Aus einer Lebensverlaufsperspektive wird hier dargestellt, welche Entscheidungen an den verschiedenen Übergängen des Hochschulsystems, im Studienverlauf sowie beim Übergang in den Arbeitsmarkt zu treffen sind und welche Pfadabhängigkeiten zwischen den verschiedenen Entscheidungen vorliegen. Deutlich wird, dass bei diesen Bildungsentscheidungen Ungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft sowie zwischen Frauen und Männern weiterhin bestehen. Herkunftsunterschiede sind in jeder Hinsicht in Bezug auf den Hochschulbereich zu finden: hinsichtlich der Studienaufnahme, der Studienfachwahl und des Hochschultyps, der Dauer des Studiums, des Abbruchrisikos, der Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts, des Studienabschlusses sowie des Übergangs in ein Masterstudium. Das Kapitel thematisiert, welche organisationalen und institutionellen Erklärungen hierfür angeführt werden können. Das Kapitel verdeutlicht, dass vorhandene Bildungspotenziale nur teilweise realisiert
werden.

In Kapitel 19 behandelt Sigrid Blömeke die Lehrerausbildung an Hochschulen, da die Lehrerausbildung zentrale Grundlagen für die Entdeckung und Entwicklung von Bildungspotenzialen in anderen Bildungsbereichen der Gesellschaft schafft. Behandelt werden die mehrdimensionale Struktur der professionellen Kompetenz von Lehrkräften sowie wie individuelle, institutionelle und systemische Merkmale die Kompetenzentwicklung während des Lehramtsstudiums beeinflussen. Zudem bietet das Kapitel eine Darstellung der historischen Entwicklung der Lehrerbildung im 19. und 20. Jahrhundert und zentraler Strukturmerkmale der gegenwärtigen Lehrerbildung in den 16 Bundesländern. Auf Basis nationaler und internationaler Studien liefert das Kapitel Informationen darüber, welche Kompetenzen angehende deutsche Lehrkräfte im Studium erwerben können und erworben haben. Als Fazit konstatiert die Autorin, dass in der Organisation der Lehrerausbildung, insbesondere in der Vernetzung von Theorie und Praxis sowie fachlicher und didaktischer Ausbildung, noch eine Reihe von Potenzialen liegen, um die Qualität der Lehrerausbildung zu verbessern.