von Marcus Hasselhorn, Jasmin Decristan und Eckhard Klieme
Spätestens seit den 1970er Jahren wird „individuelle Förderung“ als Ziel oder zumindest Weg schulischer Bildung reklamiert. Individuelle Förderung wird dabei als pädagogisches Handeln mit der Absicht aufgefasst, die Kompetenzentwicklung jedes einzelnen Lernenden unter konsequenter Berücksichtigung individueller Voraussetzungen zu unterstützen. Als Unterrichtsstrategien zur Realisierung individueller Förderung in heterogenen Lerngruppen wurde das zielerreichende Lernen („Mastery Learning“), adaptives Unterrichten („Adaptive Teaching“) und die kognitive Strukturierung („Scaffolding“) entwickelt. Ergänzt werden diese durch das Instrument des Förderunterrichts als kleinschrittige Form des Unterrichtens mit vielen Übungsphasen und unmittelbaren Rückmeldungen.
Die Qualität individueller Förderung entscheidet sich an der Passgenauigkeit von pädagogischem Handeln und dem Lern- und Entwicklungsstand der jeweiligen Lernenden. Um diese zu erreichen, bedarf es einer entsprechenden Diagnostik sowie eines Repertoires an wirksamen Fördermaßnahmen. Zusätzlich scheint eine entsprechende professionelle pädagogische Haltung ein wichtiges Element erfolgreicher individueller Förderung zu sein. Im internationalen Vergleich ist die Nutzung diagnostischer Instrumente zur Erfassung individueller Lernverläufe im Schulalltag in Deutschland wenig verbreitet. So geben Lehrkräfte aller Schulformen an, erheblichen Fortbildungsbedarf in Diagnostik und Förderung zu haben.
Zur Umsetzung der gesetzlich verankerten Förderpflicht in der Schule stehen im Wesentlichen drei institutionelle Strategien zur Unterstützung individueller Förderung zur Verfügung. Die prominenteste Strategie dieser Art sind die sogenannten Förderpläne. Sie dienen der individuellen Förderung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und allgemeinen Lernschwierigkeiten. Sie sollen Aussagen zum aktuellen Entwicklungsstand der betroffenen Kinder enthalten sowie eine Dokumentation der festgelegten Maßnahmen. In der Regel sind die Klassenlehrerin bzw. der Klassenlehrer für die Erstellung der Förderpläne verantwortlich. Bei krisenhaften Verläufen der Förderung bieten sich als Instrumente die kollegiale Fallberatung an sowie die Einbindung der Eltern über regelmäßige Eltern-Lehrer-Gespräche.
Die Forderung nach Inklusion in der Schule zeigt auch Auswirkungen auf den Diskurs zur Frage der Angemessenheit individueller Förderung. So steht die aus dem Inklusionsziel abgeleitete Forderung „keine Sonderstellung für Einzelne!“ in einer gewissen Spannung zum Konzept der Individuellen Förderung. Das mag mit ein Grund für die verbreitete Skepsis gegenüber individueller Förderung im Bereich der vorschulischen frühen Bildung sein. Die Skepsis vieler Fachkräfte im Elementarbereich bezieht sich darüber hinaus auf den Einsatz diagnostischer Instrumente und den Anspruch, auch in der frühen Bildung gezielt schulrelevante Kompetenzen vor allem im sprachlichen und mathematischen Bereich zu fördern. Man sieht darin einen Gegensatz zum kindzentrierten, situativen Ansatz, der die Elementarpädagogik im deutschsprachigen Bereich bis heute prägt. Daher wird in der Elementarpädagogik der Förderbegriff oftmals abgelehnt und stattdessen die Umsetzung alltagsintegrierter Bildung gefordert.
Der vollständige Beitrag im Buch gliedert sich wie folgt:
10.1 Individuelle Förderung als Grundlage pädagogischen Handelns
10.2 Vorbehalte gegenüber individueller Förderung im Elementarbereich
10.3 Unterrichtsstrategien zur individuellen Förderung im Grundschul- und Sekundarbereich
- 10.3.1 Mastery Learning
- 10.3.2 Adaptive Teaching
- 10.3.3 Scaffolding
10.4 Förderunterricht
10.5 Elemente professioneller individueller Förderung
- 10.5.1 Diagnostik
- 10.5.2 Fördermaßnahmen und -programme
- 10.5.3 Pädagogische Überzeugung bzw. Haltung
10.6 Institutionelle Strategien für individuelle Förderung
- 10.6.1 Förderpläne
- 10.6.2 Kollegiale Fallbesprechung
- 10.6.3 Elternberatung
10.7 Individuelle Förderung und Inklusion
10.8 Ausblick: Potenziale für das Bildungswesen
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