von Olaf Köller und Karin Zimmer
Die Anbahnung und der Vollzug gelingender Bildungsprozesse über die Lebensspanne stellen die zentralen Existenzgrundlagen moderner Gesellschaften in einer zunehmend globalisierten Welt dar. Die Bereitstellung von Lerngelegenheiten in institutionellen Settings (Kindergarten, Schule, berufliche Bildung, Hochschule), in non-formalen bzw. informellen Lernumwelten (u. a. Museen, naturwissenschaftliche Labore, Internet) und in der Familie bieten die Grundlagen für kognitive und sozial-emotionale Lernprozesse auf Seiten der Lernenden. Unbestritten ist dabei, dass unterschiedliche Lernkontexte bzw. Entwicklungsmilieus in unterschiedlichen Lebensabschnitten in ihrer Bedeutung für die individuelle Lernerin oder den individuellen Lerner von unterschiedlicher Bedeutung sind. So sind die ersten Lebensmonate beinahe ausschließlich durch die Eltern-Kind-Interaktionen dominiert, Anfänge kognitiver Entwicklung – beispielsweise des Spracherwerbs – sind die Konsequenz elterlicher Angebote und der Nutzung dieser Angebote durch den Säugling. Mit zunehmendem Alter – durch den Ausbau der Unter-Dreijährigen-Betreuung bereits nach dem ersten Lebensjahr – steigt die Bedeutung der Institutionen, bis die Kinder dann im Alter von sechs Jahren in stark formalisierte Angebote der Grundschule einsteigen. Das institutionelle Setting der allgemeinbildenden Schule übernimmt dabei explizit die Aufgabe, den Kindern bzw. Jugendlichen bis zum Übertritt in die berufliche Erstausbildung oder in das Studium vertiefte Allgemeinbildung zu vermitteln und sie auf die berufliche bzw. akademische Welt, in die sie anschließend eintreten, vorzubereiten. Dabei ist unbestritten, dass Eltern wie auch Peers und vor allem das Internet der Dinge parallele Lern- und Entwicklungskontexte darstellen, die teilweise schulisches Lernen unterstützen, teilweise aber auch in Konkurrenz treten können, beispielsweise wenn Eltern aufgrund ihrer kulturellen und sozialen Lage keine außerschulische Stützfunktion für ihre Kinder übernehmen können.
Mit dem Abschluss der beruflichen bzw. akademischen Ausbildung brechen klar strukturierte, institutionelle Lernumwelten zugunsten informeller Lernorte weitgehend weg, vor allem netzbasierte und non-formale Angebote spielen dann eine große Rolle für weitere Bildungsprozesse der Erwachsenen, selbstredend natürlich auch die berufliche Weiterbildung.
Der vorliegende Buchteil unternimmt den Versuch, (1) das sperrige Konzept der „Bildung“ in seiner Genese und Tradition zu fassen und besser zu verstehen, (2) Rahmenbedingungen zu beschreiben, unter denen Bildungsinstitutionen entstehen und sich konsolidieren, sowie (3) die vielfältigen Lernumwelten zu beschreiben, in denen Bildungsprozesse angebahnt werden. Für alle Bildungsorte gilt dabei, dass Lernen umso besser gelingt, je höher die Interaktionsqualität zwischen Lehrenden und Lernenden ist. Lehrende können dabei Eltern, Lehrkräfte, pädagogische Fachkräfte, Erwachsenenbildner*innen, aber auch Medien wie interaktive web-basierte Plattformen oder Ausstellungen in Museen sein.
Kapitel 1 beschreibt die Entstehung des deutschen Bildungsbegriffs seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und darauf aufbauend die Etablierung des Bildungssystems in Deutschland in mehreren Etappen bis hin zum heutigen System. Dabei wird ein deutlicher Schwerpunkt auf die Bedeutung von Schule und ihre Modernisierungsprozesse gelegt.
Kapitel 2 legt ebenso wie das erste einen Schwerpunkt auf Schule und setzt sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen des Bildungssystems in Deutschland auseinander. Dabei wird die Besonderheit des föderalen Systems, in dem die Länder der Bundesrepublik Deutschland die politische Hoheit bzw. Verantwortung in Bildungsfragen haben, ebenso beleuchtet wie internationale Einflüsse, die von großen Organisationen wie den Vereinten Nationen (UN), der Welthandelsorganisation (WTO), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder den europäischen Organen ausgehen.
Kapitel 3 führt in non-formales und informelles Lernen außerhalb der formalen Bildungsinstitutionen ein. Derartige Lernprozesse spielen eine wichtige Rolle für den Erwerb und die Aktualisierung der Wissensbestände breiter Bevölkerungsschichten. Dabei wird argumentiert, dass non-formale und informelle Lernorte Funktionen übernehmen, die von den formalen Bildungsinstitutionen nur partiell abgedeckt werden: So können Inhalte thematisiert werden, die noch nicht kanonisiert sind; es können vor allem aber auch Angebote gemacht werden, die in einem stärker unterhaltenden Setting stärker motivieren als dies im schulischen Setting der Fall ist. Das Kapitel zählt dabei auch die breite Zahl der non-formalen und informellen Lernorte in ihrer Bedeutung für Bildungsprozesse auf.
Kapitel 4 befasst sich mit der Rolle der Eltern für kindliche Bildungsprozesse. Dabei wird beleuchtet, wie sich die Bedeutung des elterlichen Einflusses auf die Kinder bzw. Jugendlichen mit zunehmendem Alter verändert, welche Rolle Ressourcen in der Familie und die Interaktionsqualität für kindliche Bildung spielen. Eine ergänzende Rolle spielt dabei die Kooperation von Eltern mit Bildungseinrichtungen. Bildungsprozesse gelingen in der Familie und in der Bildungsinstitution umso besser, je besser beide Lernorte kooperieren.
Abschließend befasst sich das Kapitel 5 mit Bildungsausgaben in Deutschland. Unterschieden wird dabei zwischen öffentlichen und privaten Ausgaben. Während sich die öffentlichen Ausgaben aufgrund existierender Statistiken vergleichsweise präzise beziffern lassen, ist dies für private deutlich schwerer, da sie der öffentlichen Statistik nicht zugänglich sind. Obwohl in Deutschland insgesamt über 250 Mrd. Euro per anno für Bildung, Forschung und Wissenschaft ausgegeben werden, wird argumentiert, dass Deutschland mit seinen finanziellen Anstrengungen im Bildungsbereich im internationalen Vergleich – beispielsweise mit den OECD-Mitgliedsstaaten – im unterdurchschnittlichen Bereich liegt.